„I told you it wasn’t me!“
Copy that.

I. Marktgefälle
Das ist ja egal. Seit Duchamp, sage ich jetzt mal, ist ja letztlich alles erlaubt. Und seitdem fangen auch alle an, zu behaupten, das ist Qualität. Wenn es also kein ästhetisches Kriterium für Qualität mehr gibt, und Qualität jeder von sich behauptet, dann müsste man nach anderen Kriterien schauen. – Marek Claasen (Gründer von artfacts)


Die (Des-)Informationsflut in Medien, Suchmaschinen und sozialen Netzwerken lässt sich als Ergebnis einer medienökonomischen Entwicklung verstehen. Was die Kunst betrifft, ist der Index „Die Stars von morgen“ eine willkommene Handreichung. – Diese Methode ist wertvolles Werkzeug, das dem Benutzer von artfacts.net ermöglicht, aufkommende Trends des Marktes zu erfassen. In der Kunstmarktanalyse ordnen Expert*innen Künstler*innen nach einer Punktzahl, die sich aus deren Präsenz in Museen, Ausstellungen und Galerien ergibt. – Attention in the cultural world is an economy that works with the same mechanism as capitalism.


Wir sprechen über die Beziehung von Kunst und Markt, die Beziehung von Kunst zu einem „profanen“ numerischen mathematischen Ranking, über Qualität und Quantität und natürlich auch über Geld und Ideologie. Dass man mit mathematischen Mitteln aus dem Strom von jungen Künstler*innen, die jedes Jahr auf dem Kunstmarkt stranden – Ich werde nie gefragt, ob ich da auch rein will. Ich bin sofort auf dem Markt, egal, ob ich irgendwann etwas verkauft habe oder nicht. Das ist der ultimative Markt, weißt Du. Da gibt es nichts anderes mehr –, Erfolgversprechendes herausfiltern könnte, wenn man nur die richtigen statistischen Methoden anwendet. Das ist eine Sache, die ist transparent, das kann man zählen. Das ist messbar.
Hello, Fieberthermometer, kalter Schweiß inklusive.
Das ist so ähnlich, wie wenn man in eine Videothek geht und schaut, welche Videos werden am meisten verkauft. Das ist auch so: Wenn man sich mit Filmen auskennt, dann würde man sich nicht diejenigen leihen, die am meisten ausgeliehen oder verkauft werden. Das ist nur ein Instrument, das hat gar keine qualitätsrelevanten Aussagen.


Ein selbstreferentielles System. Für den Computer existiert der Künstler nicht. „Künstler“, das ist im binären Denken bestenfalls auf dem Weg zu „1“. Man muss strategisch sein, sich positionieren. Der Kunstmarkt als Institution hat per se nicht die Aufgabe, alles demokratisch abzudecken. Vernetzung und (Re-)Produktion als Vorzeichen grundlegender Wahrnehmbarkeit der künstlerischen Arbeit. Brave new clickbait.


Ihre Differenz ist gesellschaftlich bedingt: Sie resultiert aus dem Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren, ein Prozess, der auf der Ebene der gesellschaftlichen Platzierung manifest wird. Gleichwohl bedarf es für diese Platzierung eines Anlasses, der in der künstlerischen Arbeit zu suchen ist – kein zugewiesener Platz fällt vom Himmel. Er lässt sich aktiv gestalten und gegebenenfalls verändern. – Isabelle Graw


Wenn wir den Werken wieder eine Bedeutung außerhalb des Marktes geben wollen, genügt es nicht, sie (noch) besser zu vermitteln oder zu erklären. Vielleicht sollte man erstmal wieder ernsthaft hinschauen.

II. Es gäbe keinen Text. Es könnte keinen Text geben.
Ideas improve. The meaning of words participates in the improvement. Plagiarism is necessary. Progress implies it. It embraces an author’s phrase, makes use of his expressions, erases a false idea, and replaces it with the right idea. – Guy Debord

Keine Werke ohne äußere Einflüsse, kreative Arbeit basiert auf bestehenden Kultur(-transfer)leistungen Anderer. So weit, so gut. Künstlerische Kompetenz als Grad produktiver Aneignung und Verbreitung von Formen?
Autorschaft und Authentizität. Unverfälscht und unvergleichlich. Orginalität des Konzepts und dessen innovative Wirkung. Formulierungen, Mantren, mit denen innerhalb der Kunst Wahrnehmbarkeit nach außen und Status nach innen kommuniziert und verfestigt wird. Im progressiven Anwachsen beider Größen gewinnt ein Werk schließlich bezifferbar an Wert.


“Das Original“ ist der inhaltliche Zustand einer Abgrenzung. Ihm gegenübergestellt: Klassisch die serielle Reproduzierbarkeit trivialer und technischer Objekte und Handlungsschemata. Ohne Kopie kein Original.


Ich spreche über Macht und Autonomie des Originals und die Kraft und Dominanz von Kunst. – Elaine Sturtevant


Gründet die auratische Macht von Originalen im Ausstellungsraum auf ihrer radikalen Gegenwärtigkeit? Durch Verknappung und Exklusion gelang es der Kunst immer wieder, symbolische wie ökonomische Werte jenseits der Zirkulationssysteme reproduktiver Bildmedien zu generieren. Die fortgeschrittene Digitalisierung muss jedoch zu erneuten Neubewertungen des klassischen Originalbegriffs führen. Die Sehnsucht nach der Aura in präsenzerzeugenden Medien bedeutet die Wandlung materieller Objekte oder elektronischer Bildvorlagen, Strukturen und Töne in Information, deren Wahrnehmbarkeit einem umfassenden, tendenziell synästhetischen Bildstreben genügen muss. Im nicht bloß künstlerisch angeeigneten, sondern genuin „rechnenden Raum“ (Konrad Zuse) wird ein Kunstwerk nicht mehr reproduziert, sondern im Zuge seiner informationstechnologischen Verarbeitung im weiteren Sinne erst generiert. Wenn in laufender Wiederholung des Vorgangs multiple Zeichenketten hier bereits die Grundlage bilden, fällt die Differenz von Original und technischer Übersetzung inhaltlich gesehen weg. Die daraus resultierende Variabilität markiert einen grundsätzlichen Wandel der scheinbar vertrauten, analog zugreifbaren Bildlichkeit – der Ausfall eines materiellen Originals ist der Anfang eines weitergehend angeeigneten Bildes.
Das klassische Original verlangt geradezu nach der Kopie. Das Kunstwerk ist grundsätzlich immer reproduzierbar gewesen – Walter Benjamin zufolge zeichnet sich das Original durch seine Übersetzbarkeit aus. Dieses Verhältnis ist damit auch im Sinne des künstlerischen Übertragungsbegriffs fassbar.


Die Autorität des Originals ist ins Wanken geraten – Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks emanzipiert dieses zum ersten Mal in der Weltgeschichte von seinem parasitären Dasein am Ritual. – Walter Benjamin

III. Appropriation
Die Beobachtung funktionierender Technik ist eine wichtige Quelle für Ideen… – Niklas Luhmann


Die (Re-)Produktion und Rezeption des Kunstwerks im diskursiven Milieu verschiedener Formen und Strategien künstlerischer Aneignung – ein alternativer Raum frei von kommerziellen und systemimmanenten Zwängen, der die gewandelten kontextuellen und konzeptuellen Rahmenbedingungen entlarvt? Anknüpfend an die traditionelle Bildhauerkunst mit ihren Implikationen Handwerklichkeit, Originalität und Autorschaft, unterläuft und renaturiert diese Praxis das Konzept Duchamps. Statt einer Rezeption durch die Massen legt der Künstler eine Rezeption von Massenhaftem offen. Transkribiert und neu geordnet zeigt sich Originalität plötzlich als Symptom einer umfassend dekonstruierten Autorschaft, deren bildgebende Qualitäten wesentlich im Bereich des Verlusts und der Dislokation liegen. Bildnerisches Kopieren eines materiellen Originals ist nicht schlicht eine Variante der vielfältigen Geschichte technischer Reproduktion. Sie stellt vielmehr einen grundsätzlichen Transfer der Substanzfrage aus dem Objekt zur informationsbezogenen Struktur dar.


Da das Werk als Kunstwerk nur in dem Maße existiert, in dem es wahrgenommen, d.h. entschlüsselt wird, wird der Genuß, der sich aus dieser Wahrnehmung ergibt […] nur denjenigen zuteil, die in der Lage sind, sich die Werke anzueignen. – Pierre Bourdieu


Wo alles Kunst ist, weil alles Code ist, gibt es kein Werk mehr, nur noch Halbzeuge, Glitch und Rohmaterial. Bilder, Gesten, Töne, Zeit – im Digitalen ist alles offen dafür, wieder und weiterverarbeitet, transcodiert und so vereinnahmt zu werden. Aus fortlaufend recyceltem Material entstehen „Räume des Möglichen“, kontinuierliche Transformation und Aneignung. „Aktivistisches Differieren“, das statisch verortbaren Zuständen potentiell dislozierte, permanente Umformung entgegensetzt.
Implikativ benennbar ist dabei höchstens der Impuls, der irgendwann einmal auf „Start“ drückte.


Eine meiner Hauptstrategien ist es gewesen, ein Bild über ein anderes zu legen, in der Hoffnung, einen interessanten Abstand zwischen dem Original und dem neuen Bild zu erlangen. Dieses allegorische Verfahren scheint mir eine gute Methode zu sein, ein Modell historischer Bewegung, eine Art Geschichte der Einflußnahme hervorzubringen. – Sherrie Levine


Die Differenz von Original und Kopie als „allegorisches Verfahren“ (Benjamin H. D. Buchloh), dass es eben nicht um bloße Tautologien geht, sondern um zusätzliche Sinnebenen – ein angemessenes ästhetisches Gestaltungsmittel, das als thematische Position auf Materialität, Medialität und Mentalität unseres Konsumzeitalters reagiert und den Anspruch auf eine selbstständige Existenz als Kunstwerk erhebt, das direkt in die innere Struktur anderer Kunstwerke eingreift.
Der Akt der Reproduktion erschafft ein neues Kunstwerk – also wieder ein Original. Und indem die Reproduzierbarkeit der Reproduktion erlaubt, dem Rezipierenden in seiner jeweiligen Situation entgegenzukommen, aktualisiert sie das Reproduzierte. An die Stelle der transformativen Übersetzung tritt mit diesen „Kopien“ eine Transsubstantiation, eine neue Wesenheit und Wirklichkeit. Angeeignetes setzt an die Stelle der materiellen oder energetischen Gegebenheit eines Originals dessen Information. Schon im Prozess der reproduzierenden Transkription findet der Verlust des Originals statt.


Die Form ist von der Materie getrennt. In der Tat ist die Materie in sichtbaren Gegenständen nicht mehr von großem Nutzen, ausgenommen sie dient als Vorlage, nach der die Form gebildet wird. Man gebe uns ein paar Negative eines sehenswerten Gegenstandes [...] mehr brauchen wir nicht. Man reiße dann das Objekt ab oder zünde es an, wenn man will […]. – Oliver Wendell Holmes


Constanze Metzel & Max Weisthoff

TRANSKRIPTION STREITGESPRÄCH (Claasen – Holten / 4.6.2010 / Heidelberger Kunstverein) – Bundeszentrale für Politische Bildung – Monopol: Kunstkompass – artfacts.de – Georg Frank: The economy of attention – Paul Wiersbinski – Marek Claasen – Isabelle Graw: Die bessere Hälfte – Annette Tietenberg: Original, Kopie und Reproduktion in der Kunst – Christoph Zuschlag: Die Kopie ist das Original – Tobias Lander: Über Appropriation Art – Das reproduzierte Kunstwerk – Wolfgang Ernst: Das klassische Original und seine Digitalisierung – Elaine Sturtevant: Die gleitenden Parameter der Originalität – Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit – Byung - Chul Han: Shanzhai. Dekonstruktion auf Chinesisch – Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst/Zur Soziologie der symbolischen Formen – Sherrie Levine: Born Again – Oliver Wendell Holmes: The Stereoscope and the Stereograph